Eine Reihe meiner neuesten Arbeiten stellt eine authentische Geschichte aus meiner Kindheit dar, die mit einem besonderen Mann, Namens „Anga“ verbunden ist. Diesem Mann verdanke ich die Wiederkehr meines Sprechvermögens. Ihm widme ich den Zyklus „Anga“.
Meine Eltern schenkten mir zum dritten Geburtstag einen blauen Matrosenanzug. Ab diesem Zeitpunkt erlaubten sie mir auch ohne Begleitung täglich Brot für unsere vierköpfige Familie in der Bäckerei zu besorgen. Eines Tages, kurz nach meinem Geburtstag, Anfang Sommer, stolzierte ich in meinem neuen Anzug dahin auf dem Weg zum Bäcker. Plötzlich fiel ein Schäferhund über mich her, warf mich zu Boden und packte mich am Hals. Ein mutiger und kräftiger Passant überwältigte blitzschnell den gestörten Hund und würgte ihn, bis dieser kein Lebenszeichnen mehr von sich gab. Das Erlebnis hatte traumatischeNachwirkungen: Ich verlor die Sprache – ich blieb stumm. Weder Ärzte noch Eltern nahmen meinen dramatischen Zustand ernst, niemand konnte ahnen, welch langwieriger Heilungsprozess bis zur Genesung bevorstand. Die Anwendung der konventionellen Medizin blieb erfolglos. Zeichnen war für mich die einzige Kommunikationsmöglichkeit mit der Außenwelt.
Das zweite „Schweigejahr“ brachte eine Empfehlung an einen Heiler, mit dem einprägsamen, sonoren Namen „Anga“. Eigentlich war er „Schamane“ und gehörte dem „Tungusen-Stamm“ an (Urbevölkerung Sibiriens). Ein alter Mann mit lachenden Augen und einem dünnen, grauen Bart, der seinen Mund umrahmte. Er sprach zu mir in einer unbekannten Sprache. Oft lachte er dabei und schlug sich mit den Handflächen auf die Oberschenkel. Das entkrampfte mich ein wenig und milderte meine Furcht. Nie zuvor hatte ich einen solchen Menschen gesehen und noch dazu mit einem Pferdeschwanz.
Er lebte als Einsiedler in einer kleinen Holzhütte aus dicken sibirischen Lärchenstämmen am Ufer eines Flusses. In der Hütte, in der Mitte des Raumes, loderte ein Lagerfeuer und der Rauch zog durch eine Öffnung in der Decke ab. Dort verbrachte ich Stunden, Woche für Woche, bis zu dem Tag, an dem aus meinem Munde Laute, dann wie aus meinen Eingeweiden, Schreie herausbrechen sollten und später, erste gestotterte Worte.
Ich halte mich an die Abmachung, nicht die Therapie zu verraten. Aber nach fast vierzig Jahren darf ich sie in Zeichnungen fassen.
Graffiti war die geschmähte Kunst der Großstädte. Noch immer erweckt der Name Schwindelgefühle: Erinnerungen an Häuserwände und Unterführungen mit grellen Farbschichten aus der Spraydose. Aber aus der rebellischen Kunstwelle, die nachts arbeitet, verfolgt von Bürgern und Polizei, ist eine neue Kunstform entstanden, die der Anonymität entwachsen ist und für die Kunst neues Terrain erobert hat- grenzüberschreitend und soziale Klassen verbindend.
Streetart Künstler arbeiten heute als begehrte Auftragskünstler mit gefülltem Terminplan. Ihre Werke zieren ebenso die Botschaft der Bundesrepublik in Neu Delhi wie ein Gotteshaus in Kehl oder werben für Kleinunternehmen in Armenvierteln der Metropolen. Der Bahnhof Geltendorf – nur einen Spazierweg entfernt vom Kloster St. Ottilien – war in den 1980er Jahren eine der Geburtsstätten für diese neue Straßenkunst in Deutschland.
Street Art kann begeistern – man hat nur wenig bisher davon gesehen – und das wollen wir ändern.
Das Kloster St. Ottilien hat ca. 2000 Quadratmeter für das Projekt zur Verfügung erstellt. Am Projekt nehmen 10 Künstler aus Deutschland, England, Italien, Pollen, Russland, Dänemark, Frankreich und Ukraine teil.